Schreie in meinem Fleisch

ES sitzt in meinem Fleisch. In meiner Seele, in meinen Lungen.

Manchmal spüre ich es auf jedem Quadratzentimeter meiner Haut.  Wenn ich einen dicken Kuss bekomme und ich den kühlen, wenigen Speichel auf meinen Lippen spüre, von einem Menschen den ich liebe, wirklich liebe, erstarre ich innerlich.

Nach außen, lächle ich weiter, bewege mich weiter, dreh mich so, dass ich es unauffällig weg wischen kann, damit ich niemanden den ich so sehr liebe verletze.

 

Tief in mir schrillt alles nach Alarm. Schreie kreischen sich durch mein Fleisch.

So viele kleine Momente, die mich wieder klein machen. Augenblicke wo keiner, der das je erlebt hat, auch nur ansatzweise verstehen könnte, was denn jetzt so Schlimmes passiert sei?

So viele Trigger, manche offensichtlich, denen man mit erlerntem Wissen aus dem Weg gehen kann. Viele Situationen sind aber völlig "normal". Kein Entrinnen. Dem ausgesetzt, wehrlos wie damals.

Das Fleisch hat alles gespeichert. Hat alles in sich aufgenommen, wie es ein Verstand niemals könnte. Und so stehst du da, mit einer inneren Starre, oder Achselschweiß und Schüttelfrost, als ob dir einer eine Waffe an den Kopf hält.

 

Eine Posttraumatische Belastungsstörung ist ein täglicher Kampf. Gräbt sich in jede Sekunde deines Lebens und umklammert dich immer wieder, einer Würgeschlange gleich, dass es dir manchmal den Atem raubt.

Es ist ein innerer Krieg, und du stehst an der Front. Ganz alleine. Weil nichts und niemand auf der Welt dich da raus holen kann. Das kannst nur du selbst.

 

Du gehst zur Therapie, brichst sie ab. Denkst dir noch: hey, mir geht es endlich gut, ich bin geheilt! Doch der Sturz in die Tiefe lässt nicht all zu lange auf sich warten. Du rennst wieder zur Therapie, dieses mal hältst du länger durch. Doch es kommt ein Punkt. Da ist etwas. Du weißt es nicht genau, aber da kommt es hoch. Dir ging es doch gerade gut mit der neuen Therapie, was soll das denn? Du brichst die Therapie ab. Es geht mir doch gut. Doch diese Bilder....

 

 

Ja, diese Bilder habe ich gemalt und gezeichnet. Aber was sie bedeuten sollen? Tief in mir weiß ich es schon. Ich weiß was sie mir zeigen wollen, so harmlos sie aussehen mögen. Aber nein, ich gebe sie dem Therapeuten nicht. Er soll sie nicht sehen. Er wird fragen und es wissen wollen. Er wird mich damit konfrontieren. Kindliche Holzstiftzeichnungen die dir die Antwort auf alles dennoch ins Gesicht schreien.

Oh nein, mir geht es doch gut, ich breche jetzt mal wieder ab, ich bin doch geheilt. Die Bilder sind nur Einbildung, ich will mich damit ja doch nur noch mehr bemitleiden.

Ach wie meine Mutter Selbstmitleid hasste. "Hör endlich auf dich in Selbstmitleid zu suhlen. Das stinkt und ist ekelig."

 

Wieder schaffte ich einige Dinge, und diesmal dauerte es ein wenig länger bis ich merkte wie ich wieder langsam aber stetig in den Abgrund stürzte. Jetzt brauchte ich Tabletten. Ohne Tabletten hielt ich es nicht mehr aus. Ich muss mich doch um meine todkranke Mutter kümmern, sie braucht mich. Und da ist ja auch noch mein Ehemann, der sich vernachlässigt wegen der kranken Schwiegermutter fühlt.

Keine Zeit für Therapie. Aber die Tabletten müssen auch weg. Wir wollen noch ein Baby, bevor meine Mama stirbt. Und es klappt auch sofort.

Meine Tochter wurde geboren, es war eine sehr schöne, natürliche Geburt. Fünf Tage später fahren wir heim. In der ersten Nacht als meine Große zu Hause war, starb meine Mutter an Lungenkrebs, der eindeutig von ihrer Nikotinsucht ausgelöst wurde. All die Warnungen, selbst eine Kehlkopfoperation einige Jahre zuvor, wollte sie nicht wahr haben. Sie lachte immer darüber wenn ich etwas dazu sagte, und gleichzeitig sagte sie immer, sie würde ja sowieso nicht alt werden. Nun, das hat sie somit geschafft. Es war grausam es anzusehen. Trotz unsere sehr ambivalenten Beziehung, was es für uns Beide ein äußerst schmerzhafter Weg.

Ich ermöglichte es ihr, daheim sterben zu können. Das war ihr wichtigster, letzter Wunsch. Die 24h Pflege hat aber die Wohnung zerstört. Danach mussten wir generalsanieren. Obwohl ich immer da war, jeden Tag, haben wir soviel übersehen, was die Pflegehexe gekonnt versteckt hatte. Es tut mir heute noch leid, dass ich der soviel bezahlt habe. Die hätte uns was zahlen müssen....

Vor allem die letzten fünf Tage, wo ich in der Klinik war mit dem Neugeborenen, gaben der Wohnung den Rest. Mein Mann ertrug es nicht, er ging schon viele Wochen nicht mehr hinüber, außer ich war dabei, für ein kurzes Hallo. Sonst war er nie dort. In den restlichen fünf Tagen ging er nur einmal pro Tag für fünf Minuten an ihr Krankenbett. Die restlichen Räumlichkeiten kontrollierte er nicht, da er so schnell wie möglich da wieder raus wollte. Wo alles nach Krankheit roch, und meine Mutter nicht wieder zu erkennen war.

Zumindest hat er die Wohnung leer geräumt. Ich wäre nicht in der Lage dazu gewesen. Da meine Mutter nichts wegschmeißen konnte, war es sehr, sehr viel und harte Arbeit.

Das erste Jahr mit dem Baby. Einerseits war ich überglücklich, endlich das Baby in meinen Armen zu halten, nachdem ich mich schon solange gesehnt hatte. Mein Leben lang, hatte ich das Gefühl. 

Meinem Mann aber, konnte ich nichts recht machen. Gar nichts. Egal was ich tat, ich blieb mit dem Gefühl zurück es war falsch. Betraf es den Haushalt oder das Baby, das zählte nicht. Es war einfach nicht richtig.

Ich hatte nun Haus (wenn auch alt), Ehemann und ein Baby. Einen quasi unkündbaren Posten, und einen Mann der nicht nur gut verdiente, sondern auch ein eiserner Sparer war.

Oh ja, wir stritten mal wegen einem 29 Cent Pago Saft, den ich mir doch eigentlich hätte sparen sollen.

Nach außen, hatte ich alles. Alles was sich Durchschnittsbürger so erträumt.

Aber innen, war mein Leben und somit auch das meiner Tochter von psychischer Gewalt geprägt. Wenn ich es nur eher verstanden hätte, mein armes Kind... :-(

Es war das einsamste Jahr meines Lebens. Ich habe seit damals von meiner Familienseite nur noch eine Patentante. Die mir mehr Mutter war, als es meine beiden Mütter zusammen je sein konnten.

Aber damals begriff ich so vieles noch nicht, und ich vertraute ihr noch so einiges nicht an.

Und Schwiegermutter kam da noch regelmäßig das Baby für einen Spaziergang holen, damit ich den Haushalt in Ruhe machen konnte. Ja, da war sie noch eifrig, kam sogar mit dem Bus. Und freute sich immer darauf. Es wurde immer weniger. Beim zweiten Mädchen, kann ich mich kaum an so etwas erinnern. Jetzt war sie ja in Pension und hatte viele Dinge zu tun. Kegeln, turnen, Rad fahren (richtige Touren), drei bis viermal im Jahr auf Reisen gehen, wenn nicht öfter.... Ich gönne meinen Schwiegereltern dieses Leben, nicht dass man es falsch versteht. Es liegt viel mehr daran, dass ich mich einfach freuen würde, wenn sie die Kinder nicht nur nehmen, weil sie selbst Freude daran haben, sondern weil sie die Kinder auch unterstützen wollen. Man sollte bedenken, dass es in solchen Fällen nicht darum geht, die Eltern zu unterstützen, sondern vielmehr darum, dass alles was die Eltern erleichtert auch den Kindern gut tut.

Das ist aber ein Thema für sich, und ich gehe bei Gelegenheit noch näher darauf ein.

 

Als mein erstes Baby 13 Monate alt wurde, war ich kurz vor dem zusammen brechen. Ich ging zum Hausarzt, und ich bekam wieder Tabletten. Es ging eine Weile bergauf. Aber mein Mann war immer noch der Alte. Er machte mich fertig wo er nur konnte. Es kam der Zeitpunkt wo ich Angst vor ihm bekam. Ich zuckte zusammen, wenn ich hörte, dass er zur Türe rein kam. Bekam Herzklopfen wenn ich sein Auto hörte. Was hab ich jetzt wieder falsch gemacht? Hab ich was vergessen?

Irgendwann war ich einfach nur mehr froh, wenn er lang arbeitete. Wenn er erst kam, wenn die Kleine schlief und ich noch etwas Ruhe für den Haushalt hatte. Je mehr er weg war, desto besser ging es mir.

Doch ich begriff immer noch nicht, warum ich genau in diesem Leben festsaß. Das sollte noch dauern, bis nach dem zweiten Kind. Wer weiß, ob ich noch einem zweiten Baby (trotz sehnlichstem Wunsch) zugestimmt hätte, wenn ich davor schon richtig erkannt hätte, was hier ablief.

Ich war depressiv, ohne es richtig wahr zu nehmen. Es war unglaublich, wenn ich so zurück denke, wie sehr ich mich von allem abgespalten hatte, und so hatte ich dank der Tabletten das Gefühl, es ginge mir viel besser. Wieder hörte ich mit den Tabletten auf, wegen eines Babywunsches von uns beiden.

Sofort schlug es wieder ein, und es ging wieder bergab mit mir. Ich hielt es kaum noch aus mit meinem Mann, und sah es nicht mal klar.

Im fünften Monat schickte mich mein Mann zur Therapie mit den Worten: das ist nicht mehr zum Aushalten mit dir.

Das saß, und so ging ich. Immer noch der Meinung es läge sämtliche Schuld ohnehin allein auf meinen Schultern.

Ich war nicht gut genug. Zu weich als Mutter, zu schlecht als Ehe- und Hausfrau.

 

Es grüßt euch

Smart Craving

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